Staubsauger
Als mein Sohn 5 Jahre alt war, zogen wir um in ein anderes Haus: Es war schön hell, alles neu renoviert, das Wohnzimmer sehr groß und überall Teppichböden. Den Bodenbelag für´s Wohnzimmer konnten wir uns selbst aussuchen. Ich überhörte alle Einwände meines damaligen Mannes und entschied mich für einen hellgraublauen Teppichboden, der sich auf der großen Fläche und zu den Möbeln ausnehmend gut machte.
Es dauerte nur wenige Tage nach dem Einzug, dass sich dieser wirklich schöne, hellgraublaue Teppichboden nicht nur als empfindlich erwies, sondern als Fusselmagnet mit der Kraft eines Klettbandes. Wenn überall Teppichboden liegt, läuft man doch gerne auf Socken durchs Haus. Und wirklich – nur im Wohnzimmer gab es beim Gehen über diesen hellgraublauen Teppichboden leise Abriss-Geräusche. Das hatte seine Ursache darin, dass bei jedem Schritt Fasern aus den Socken und Strümpfen – hatten sie den Teppich auch nur kurz berührt – herausgerissen wurden und dem besagten Teppich fest verbunden blieben.
Tägliches und stundenlanges Hin und Her mit dem Staubsauger erforderte viel Kraft – und das auch nur mit mäßigem Erfolg und nur für kurze Zeit. Wir mussten uns also um Hausschuhe kümmern, schon damit nicht alle unsere Socken unter den Fußsohlen stark ausgedünnt wurden und Löcher bekamen.
Als dann auch noch unser betagter Staubsauger seinen Geist völlig aufgab, war ich wirklich genervt. Ich musste mich mit der Anschaffung eines Neuen und auf jeden Fall Geeigneteren befassen. Leider hatte ich dafür eigentlich nicht genug Zeit.
Meine Schwägerin bot mir freundlicherweise an, ihren Staubsauger auszuleihen. Das sei kein Problem für die kommenden 2 Wochen. Es handele sich um einen sehr leistungsstarken Vorwerk-Sauger mit enorm viel Zubehör. Sie könne dieses Modell wirklich empfehlen. Ich würde schon sehen, wie toll der mit unserem Teppich fertig würde. Er sei zwar teuer, aber einfach der Beste. „Probier ihn aus.“
Mein Schwager brachte mir das Gerät noch am gleichen Abend und erklärte, dass auch der Service super sei, dass man nur den Vorwerk-Vertreter informieren müsse, wenn man neue Beutel benötige, er bringe sie dann zeitnah vorbei. Alles sei enorm praktisch und er kenne den Vertreter, der für unser Gebiet zuständig sei, auch privat. Wenn ich mich für die Anschaffung eines Vorwerk-Saugers entscheiden würde, könne er diesem Mann Bescheid geben, damit der sich um meine Wünsche kümmert.
Ich muss sagen, dass das Saugen unseres störrischen Teppichbodens im Wohnzimmer für mich mit diesem Staubsauger zum reinsten Vergnügen geriet. Wie im Werbefilm sah man jede gesaugte Spur total schmutz- und fusselfrei. Ein Hin- und Herziehen des Gerätes war nicht erforderlich. Nur einmal drüber und alles war weg. Auch herumliegendes Kleinspielzeug meines Sohnes.
Aber der hätte ja seinen Kram aufräumen können. Ich war wahnsinnig begeistert und freute mich jeden Tag aufs Staubsaugen.
Also rief ich nach ca. 5 Tagen meine Schwägerin an. Sie könne meinem Schwager ausrichten, er möge doch den Vorwerk-Vertreter, den er ja persönlich kennt, mal zu mir schicken, damit ich eine Bestellung aufgeben kann. Das wollte sie machen. Ich könne ihren auch gerne noch behalten, bis dann meiner geliefert sei.
Juchhu, Problem gelöst.
Ein paar Tage später ging ich nach dem Frühstück auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Ich trug ein schwarzes langes T-Shirt-Kleid, das vorne vom Bauchnabel bis zum Dekolletee geschnürt war. Darunter trug ich nur einen Slip. Es war ja warm genug. Beim Rauchen entdeckte ich Unkraut in den Ritzen zwischen den Pflastersteinen. Ich begann so ganz nebenbei die Unkräuter herauszuziehen und dann um die Terrasse herum und dann in den Rabatten, letztendlich überall dort, wo kein Rasen war. So rutschte ich ganz versonnen und völlig unbeabsichtigt in eine lustvolle Gartenarbeit. Ich hatte frei. Das Wetter war toll. Die Vögel zwitscherten. Das Kleid war alt und duschen wollte ich anschließend sowieso. Egal, wenn ich schon einmal dabei war, konnte ich auch gleich noch ein paar Pflanzen umtopfen.
Damit war ich fast fertig, als es an der Haustür klingelte.
Oh Gott, jetzt so dreckig durchs Haus zur Haustür. Wer könnte das sein?
Und dann stand er da, der Mann, der sich vorstellte mit den Worten: „Schönen guten Tag, mein Name ist (ich glaube Andresen) von der Firma Vorwerk…“ Weiter kam er nicht, denn ich jubelte. „Das ist ja toll.“ Ich zog ihn quasi ins Haus. „Das hat ja schnell geklappt und damit Sie es wissen, ich möchte genau das gleiche Equipment wie mein Schwager Andreas B. Wirklich genau das gleiche.“
Seine irritierten Blicke nahm ich noch gar nicht richtig wahr. Er war wohl schüchtern.
Ich bat ihn, am Esszimmertisch Platz zu nehmen. „Sie wissen sicher aus Ihrer Kartei, welchen Staubsauger mein Schwager Andreas B. bei Ihnen gekauft hat. Schreiben Sie bitte die Bestellung aus. Ich möchte genau den gleichen und auch das gleiche Zubehör.
Wielange dauert es mit der Lieferung?“ usw.
Ich habe ihn förmlich zugelabert, ohne ihn richtig anzusehen.
Er versuchte immer wieder dazwischen zu fragen, ob er nicht kurz… „Vielleicht kann ich Ihnen kurz…Äh.. Möchten Sie, dass ich Ihnen kurz zeige…Hm.. kurz das Gerät vorführe. Ach nicht. Äh… Ach, Sie kennen es. Ich würde trotzdem… Ok.“ Er holte ein Bestellformular aus seiner Tasche und begann zu schreiben. Ich saß ihm gegenüber und sah erst jetzt, dass seine Hand heftig zitterte. So ein junger Mann dachte ich, was mag der haben, dass er so zittert. Er schrieb, strich etwas Geschriebenes wieder durch und berichtigte es, schrieb neu und schwitzte sichtbar heftig.
Ich beobachtete das und sah unvermittelt beiläufig an mir herunter.
Oh mein Gott! Ich wollte im Erdboden versinken. Die Schnürung meines extrem durchgeschwitzten Kleides hatte sich vermutlich während der Gartenarbeit reichlich weit geöffnet. Er hatte mit Sicherheit bei jeder Bewegung viel mehr von meinem Busen sehen können, als ich es jemals ertragen konnte. Schnell zog ich an den Bändern und schnürte sie zusammen.
War er deshalb so nervös? Wie peinlich! Wie unglaublich peinlich!
Ich tat, als wäre überhaupt nichts geschehen und sah zur Kontrolle noch einmal an mir herunter. Erst da wurde mir wirklich bewusst, wie dreckig und verschwitzt ich war. Ich entschuldigte mich für meine Aufmachung. Ich sei eben mitten aus der Gartenarbeit gekommen, hätte mit Besuch gar nicht gerechnet. Er sei ja nicht angemeldet gewesen, was aber ok sei, denn desto schneller bekäme ich meinen neuen Staubsauger.
Er versuchte freundlich zu lächeln. Zu dumm, dass er die Karteikarte von Andreas nicht dabei hatte, dachte ich. Er ließ sich den ausgeliehenen Staubsauger mit Zubehör zeigen. Nach dem Ausfüllen des Bestellformulars vergewisserte er sich ganz schüchtern noch einmal der Richtigkeit der Bezeichnung des gewünschten Vorwerk-Modells und bot noch das eine und andere Zubehörteil an. Nur noch die Unterschrift. Durchschrift für mich. Fertig. Seine Hände zitterten noch immer. Seine Unterschrift war kaum lesbar. Ich versuchte alles mit Humor zu überspielen mit: „Hauptsache, Sie können alles lesen und es kommt die richtige Ware hier an.“
Mein Gott, der arme Kerl!
Zwei Tage später traf ich Schwägerin und Schwager – der neue Staubsauger war noch nicht geliefert – Ich bedanke mich glücklich, dass alles so schnell geklappt hat. Sie wussten im ersten Moment gar nicht, wovon ich redete. „Naja, dein Bekannter von Vorwerk war schon hier, alles ist bestellt und kommt wohl nächste Woche.“ „Oh mann, das tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen“, sagte Andreas. „Siehste Anke, den wollte ich doch noch anrufen. Wie, der ist schon bei euch gewesen.“
Die allseitige Verwirrung war wirklich lustig. Jeder dachte, der andere irre sich. „Doch“, entgegnete ich, „der war schon hier. Ich glaube sein Name war Andresen (oder ähnlich).“
„Kennen wir nicht“, sagten beide einig. Nein, wirklich nicht. Das muss ein anderer gewesen sein….“
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Gründe für Zittern, Schwitzen, Unsicherheit, alles wurde mir schlagartig klar. Was hat der arme junge Mann nur bei mir erlebt!
Da steht ein Staubsauger-Vertreter vor der Tür und klingelt unangemeldet. Normalerweise wird ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, im freundlichsten Fall mit den Worten „Wir kaufen nichts an der Haustür“. Aber ich ziehe ihn jubelnd halbnackt, schmutzig und durchgeschwitzt ins Haus, rede von Leuten, die er überhaupt nicht kennt, setze Kenntnisse und Kartei voraus, die er nicht hat, bestelle Dinge, von denen er wissen sollte, es aber nicht weiß. Und alles ohne Punkt und Komma. Wer würde da nicht zittern und schwitzen?
Ich habe mich im Nachhinein ganz furchtbar geschämt.
Einige Tage später stand er dann wieder vor der Tür, um alle Teile anzuliefern.
Er war sehr freundlich, stellte schnell das Paket im Flur ab und ließ mich die Empfangsquittung unterschreiben, während ich alle zurechtgelegten Entschuldigungen für mein unmögliches Verhalten am Tag der Bestellung auf ihn niederprasseln ließ. Ich hätte die Situation völlig falsch eingeschätzt, weil ich jemand ganz anderen erwartet hätte usw. usw…
Er hörte mir überhaupt nicht richtig zu, gab sich in großer Eile und verabschiedete sich schnell mit den Worten: „Wenn Sie etwas benötigen, rufen Sie an. Hier ist meine Karte.“
„Oh, Danke!“
Ich habe ihn nie wieder gesehen.
Der Staubsauger hat 35 Jahre lang gute Dienste geleistet. Meinen Teppich-Geschmack habe ich geändert und nie wieder einen hellgraublauen angeschafft.
6.11.2016
Eva Stahl